Arbeitsweise

Arbeitsweise


Werden, Sein und Vergehen


 

Diesem Prozess sind alle Erscheinungen des Daseins unterworfen. Dem unterliegt der Umstand, dass Materie keine dauerhafte Matrix für multivalent evolutionale Neuschöpfungen bietet. Im Vergehen (Zerfall) der Materie bildet entstehende Energie den Schub zur Ausdehnung von Raum in eine neue Zeit.

Zusammengefasst: „Das Kleid der Materie ist zu klein für die Möglichkeiten der Schöpfung.“

In einem Kunstwerk muss diese paradoxe Situation in diametralen Zeichenkontrasten vorhanden sein. Das garantiert in der Viellesbarkeit und Deutung eine simulierte Lebendigkeit. (Wirklichkeit der Kunst im Gegensatz zur reinen Sachlage der Dinglichkeit)

 


Substanz-Akzidenz-Beziehungen


 

Amorphen Material-Erscheinungen fehlen in der Realität genetische Impulse einer selbsttreibenden Entwicklung.

Diese werden taktiert und pulsiert durch die Substanz.

 

Beispiel: ein lebendiges Pferd im Vergleich zu seinem bloßen Abguss

 


Die Bedeutung der Unschärfe in der bildenden Kunst


 

Der Satz vom Kleid der Materie und der Möglichkeit der Schöpfung findet seine Anwendung bei unscharfer Vervielfältigung von Kunst. Wird ein Kunstobjekt auf andere Materieebenen übertragen, wird nur ein Teil der ersten Schöpfung auf eine andere Abbildungsebene übertragen. Damit ist eine neue Schöpfung in einem anderen Raum in fortlaufender Zeit entstanden, was weiter die Deutung in einem neuen Raum und einer neuen Zeit  ermöglicht. Diese Unschärfenveränderung durch das Material zeigt eine andere Natur der Kunstschöpfung und regt die Fantasie des Künstlers zu neuen Erscheinungen an.

 

Hier sei der Hinweis gestattet auf die Raum-Zeit-Beziehung in der Auseinandersetzung von Substanz zu Materie.

 

Beispiel:

Eine Kopfstruktur wird in Tusche auf durchlässiges Büttenpapier gezeichnet. Einen Teil der Struktur finden wir auf der Rückseite des Papieres in veränderter Form und mit möglich veränderter Deutung. Jetzt  zeichnet der Künstler in die durchgesickerten Tuscheformen mit neuer Intention hinein.

Klappt man die feuchte Zeichnung auf das nächste Blatt, so wird diese Zeichnung abgedrückt, aber unvollkommen. So kann man erneut die Zeichnung umwandeln und neu deuten. Diese Vorgänge sind beliebig fortsetzbar.

 

Im Folgenden möchte ich einige auf diese Weise zu Stande gekommenen Ergebnisse aus dem Hiob-Zyklus veranschaulichen: Die verschiedenen Leidenszustände des Hiob können bildnerisch kaum dargestellt werden, da die Bibel diese nicht konkretisiert. Im Text geht es im Wesentlichen um die Leidensfülle und -intensität, weniger um die konkreten Leiden. Deshalb ist in diesem Falle die oben geschilderte Methode der Unschärfe besonders geeignet für die Darstellung der Hiobsgeschichte.

Die Deutung  der Gesamtfolge der zunächst unkonkreten  Schmerzzustände Hiobs zeigt am Ende eine neue Erkenntnis: Hiob wird nicht einfach bestraft, sondern er wird aus seinen Angstzuständen befreit, vor Gott etwas falsch gemacht zu haben. Der biblische Gott will den souveränen, selbstbestimmten Menschen als sein Ebenbild, als  Spiegelbild seiner Eigenschaftslosigkeit, was den der realen Welt verhafteten Menschen in paradoxe Situationen bringen kann.

 


Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft in Formen und Methoden der Kunst


 

Es gibt in der Bilddeutung kein Unten und kein Oben, kein Rechts oder Links, kein Hinten und Vorne, zumal wenn der Betrachter um das auf dem Boden liegende Bild geht, seinen Assoziationen freien Lauf lassen und dadurch zu ganz unterschiedlichen Deutungen gelangen kann.

 

Vergangenheit und Zukunft manifestieren sich in Unschärfe oder Löchern auf der Bildebene, je nachdem ob man den Blick zurück oder nach vorne richtet. Auf der Fläche stellen die Löcher Lücken dar, wirken als Leere und haben keine Dinglichkeit. Sie werden von dem Betrachter nur als Formen der Interpretation genutzt.

Alle Erscheinungen im Weltsein, das gilt auch für alle Kunstwerke, befinden sich vom Zeitpunkt der Gegenwärtigkeit ihres Entstehens im Zustand des Werdens und Vergehens. Im Verlaufe der Zeiten kann der Verfall nicht aufgehalten werden.

Andererseits erfahren Bilder vor anderen Seinshintergründen andere Deutungen. Da Kunstwerke sich materialmäßig durch Zerfall verändern, bekommen sie auch einen anderen Stellenwert.

 


Bildsehen in Beziehung zu der momentanen Lebenserfahrung des Betrachters


 

Bilder, die in ihrer Struktur im Zustand des Status nascendi gehalten werden oder in der Zeit vergehen, verändern sich in der Betrachtung unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung des Beobachters.

Das liegt an der Unschärfe und an den Überschneidungen der Formen und Überdeckungen, so dass andere Kombinationen während des Sehens neue Inhalte ergeben.

Diese Art Bilderfahrung bietet keine Eindeutigkeit, sondern sie ist eine Art von Rätsel, das im Moment gelöst sein will. Diese Bilder enthalten Vieldeutigkeit. Sie sind zeitlos und bleiben spannungsvoll.

 


Fazit:


 

Das Kunstwerk ist ein geschlossenes System von Werden, Sein und Vergehen, als Spiegelbild des Systems im Kosmos. Es bildet ein latentes Gleichgewicht der zu lesenden Zeichen in ihren paradoxen Seinsbewertungen: ein Jo-Jo dynamisch abwechselnder Abläufe von Zeichen-Leserichtungen.

Es handelt sich um ein blindes Suchen in einem System, das nie ein festes Gleichgewicht erreicht, es sei denn, dass dieses kollabiert.